Mit seinem Urteil vom 19.02.2019 (AZ: 9 AZR 541/15) hat das Bundesarbeitsgericht im Hinblick auf die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entschieden, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel nur dann am Ende des betreffenden Kalenderjahres erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor über dessen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Bisherige Rechtslage:
Der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers besteht grundsätzlich für jeweils ein Kalenderjahr. Mit Ablauf dieses Kalenderjahres erlischt der Urlaubsanspruch, es sei denn, es liegt ein sogenannter Übertragungstatbestand vor, das heißt, der Urlaub kann aufgrund dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe bis zum Ablauf des Kalenderjahres nicht genommen werden. In diesem Fall verfällt der Urlaubsanspruch bis zum 31. März des Folgejahres.
Eine Ausnahme hiervon galt bislang aufgrund der Vorgaben der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur europarechtlichen Urlaubsrichtlinie, wenn der Arbeitnehmer aufgrund langandauernder Erkrankung nicht in der Lage war, den Urlaub auch bis zum Ende des Übertragungszeitraums (31. März des Folgejahres) zu nehmen. In diesem Ausnahmefall verfiel der Urlaub dann erst (dann aber auch endgültig) 15 Monaten nach Ablauf des Urlaubsjahres, das heißt am 31. März des übernächsten Jahres, in dem der Urlaub entstanden war.
Bei Vorliegen eines solchen Übertragungs- oder Ausnahmetatbestandes, überträgt sich der Urlaub ohne Zutun des Arbeitnehmers, das heißt, es ist nicht etwa ein Antrag oder Ähnliches erforderlich.
Allerdings war bislang der Arbeitnehmer stets dafür verantwortlich, dass er seinen Urlaub innerhalb des Urlaubsjahres oder, im Falle einer Übertragung, jedenfalls im Übertragungszeitraum dann auch tatsächlich nahm. In Fällen, in denen der Arbeitnehmer den Urlaub nicht rechtzeitig beantragt hatte, sei es, weil er keinen Urlaub nehmen wollte, sei es aus bloßer Nachlässigkeit, verfiel der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraums.
Es war also zumindest notwendig, dass der Arbeitnehmer einen Urlaubsantrag stellte. In Fällen, in denen dieser Urlaubsantrag vom Arbeitgeber abgelehnt wurde, obgleich ein Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers bestand, verfiel der Urlaubsanspruch zwar dennoch. Die Rechtsprechung behalf sich aber in diesen Fällen mit einem Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers, der auf die Gewährung der verfallenen Urlaubsansprüche im Folgejahr abzielte, sodass der Arbeitnehmer den beantragten und ihm zu Unrecht nicht gewährten Urlaub in gleicher Höhe dann auch nach Ablauf des Urlaubsjahres bzw. Übertragungszeitraums noch nehmen konnte.
Neu: Hinweispflicht des Arbeitgebers
Der Grundsatz, dass der Arbeitnehmer für die rechtzeitige Beantragung seines Urlaubs selbst verantwortlich ist, gilt nach der oben zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts sowie der europarechtlichen Urlaubsrechtsprechung nun nicht mehr uneingeschränkt.
Vielmehr ist der Arbeitgeber nunmehr verpflichtet, den Arbeitnehmer vor Ablauf des Urlaubsjahres rechtzeitig auf seinen konkreten Urlaubsanspruch hinzuweisen und ihn außerdem darauf hinzuweisen, dass, sollte er den Urlaub nicht rechtzeitig beantragen, der Urlaub mit Ende des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraums verfällt.
Diese Hinweispflicht besteht grundsätzlich und nicht etwa nur in Fällen mit unsicherer Rechtslage, also bei länger andauernder Erkrankung des Arbeitnehmers, Urlaubssperren zum Jahresende oder Ähnlichem.
Das BAG betont in seinem Urteil auch, dass der Hinweis sich auf einen konkret bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Kalenderjahres beziehen und außerdem transparent sein muss.
Es genügt also gerade nicht, die geltende Rechtslage im Arbeitsvertrag darzustellen. Der Arbeitgeber muss vielmehr in jedem Kalenderjahr den Arbeitnehmer auf seinen Urlaubsanspruch und die Konsequenzen des Verfalls seiner Ansprüche, wenn der Urlaub nicht rechtzeitig beantragt wird, hinweisen.
Laut BAG in dem oben zitierten Urteil kann der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten regelmäßig z.B. dadurch erfüllen, dass er dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen, ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt.
Erst wenn der Arbeitnehmer trotz einer solchen rechtzeitigen Belehrung (und selbstverständlich auch der Möglichkeit, den Urlaub auch tatsächlich innerhalb des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraums zu nehmen) den Urlaub nicht rechtzeitig beantragt, verfällt dieser.
Fehlt ein entsprechender Hinweis des Arbeitgebers, so überträgt sich der bis zum Ende des Kalenderjahres nicht genommene Urlaub auf das Folgejahr. Es gelten dann für diesen Urlaub die gleichen Regelungen wie für den im Folgejahr entstehenden (das heißt, der übertragene Urlaub verfällt nicht am 31.03. des Folgejahres, sondern besteht für das gesamte Folgejahr fort).
Der Arbeitgeber muss also zukünftig jeden Arbeitnehmer jedes Jahr ausdrücklich auf die Anzahl seiner Urlaubstage und die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Beantragung sowie auf die Konsequenzen einer nicht rechtzeitigen Beantragung ausdrücklich hinweisen. Es ist unbedingt zu empfehlen, diesen Hinweis schriftlich oder in Textform zu erteilen, sodass im Streitfalle der Hinweis auch nachgewiesen werden kann.
Für den Hinweis reichen weder entsprechende Formulierungen im Arbeitsvertrag, noch allgemeine Hinweise in Form von Merkblättern, Anschlägen am schwarzen Brett oder Hinweisen im Intranet. Der Hinweis muss jedem Arbeitnehmer gegenüber konkret, d. h. individuell und auf seinen Urlaub bezogen, mitgeteilt werden.
Sofern dem Hinweis des Bundesarbeitsgerichts insofern gefolgt wird, dass die entsprechenden Hinweise jeweils zu Beginn des Kalenderjahres den Arbeitnehmern erteilt werden, ist jedenfalls in den Fällen, in denen etwa Urlaubsanträge des Arbeitnehmers unterjährig abgelehnt werden, zu empfehlen, gegen Ende des Jahres nochmals einen entsprechenden Hinweis zu erteilen. Hierdurch kann vermieden werden, dass etwa ein Arbeitnehmer sich auf den Standpunkt stellt, er habe zwar die Hinweise am Anfang des Jahres erhalten, sei dann aber durch Nichtgewährung des Urlaubs im laufenden Kalenderjahr am Nehmen seines Jahresurlaubs gehindert worden.
Der Hinweis muss jedenfalls so rechtzeitig erteilt werden, dass der Arbeitnehmer noch in der Lage ist, den Jahresurlaub bis zum Ende des Kalenderjahres zu nehmen.
Hinweis:
Die oben dargestellte Rechtsprechung bezieht sich nur auf den gesetzlichen Mindesturlaub von vier Wochen. Das heißt, es können in Fällen, in denen dem Arbeitnehmer vertraglicher Mehrurlaub gewährt wird, für diesen Mehrurlaub abweichende Regelungen getroffen werden. Für den vertraglichen Mehrurlaub kann aus diesem Grunde beispielsweise arbeitsvertraglich geregelt werden, dass der Mehrurlaub in jedem Fall, auch ohne weiteren Hinweis des Arbeitgebers, zum Jahresende verfällt.
Finden sich im Arbeitsvertrag (oder einem anzuwendenden Tarifvertrag) keine ausdrücklichen Regelungen dahingehend, so folgt der vertragliche Mehrurlaub den Regeln des gesetzlichen Mindesturlaubs, das heißt, es gilt auch hier die umfängliche konkrete Hinweispflicht des Arbeitgebers.
Mit freundlichen Grüßen
Alexander Krieger
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht